Ein Fischspeer mit Geschichte

Speere aller Art gibt es in völkerkundlichen Sammlungen zuhauf. Dieser Speer aus Australien hat jedoch etwas Besonderes: er kann eine ganz persönliche und dabei noch spannende Geschichte erzählen. Wo er herkam, warum er zum Sammelobjekt wurde und wie er in die Mannheimer Sammlung gelangte – dies alles ist rekonstruierbar und zugleich mit weltumspannenden Theorien über den Ursprung der Menschheit verbunden. Heidelberger Wissenschaftler und ihre Theorie, dass sich die ersten Menschen ursprünglich in Australien entwickelten, spielen dabei eine wichtige Rolle.

Beim Gang durch die Depot-Regale fällt mir im Augenwinkel plötzlich etwas auf. Meine Schritte werden langsamer. Moment mal! Solch einen Fischspeer kenne ich doch. Genau! Diese Bemalung mit weiß-roten Erdfarben, die sorgfältige Umwicklung am Schaft, die Widerhaken aus Känguru-Zähnen…. Na klar! Das ist ein Fischspeer aus Australien, genauer gesagt von der westlichen Cape York Halbinsel, einer damals wie heute äußerst abgelegenen Gegend in Nordaustralien. In nur wenigen anderen Museumssammlungen habe ich solche Speere gesehen.

Anthropologe und Ethnographikasammler Hermann Klaatsch

Äußerst abgelegen war die Region auch für die Herrnhuter Missionare, die 1891 an jener Westküste der Cape York Halbinsel die erste Missionsstation – Mapoon – gründeten. Entlang der Küste folgten weitere Stationen, so auch 1904 die südlichere Missionsstation Aurukun am Archer River. Der deutsche Anthropologe und Ethnographikasammler Hermann Klaatsch (1863-1916) war damals Zeitzeuge, als hier die ersten Missionare mit ihren Ausrüstungsgegenständen an Land gingen. Hermann Klaatsch befand sich auf einer Australien-Reise, die im Februar 1904 begonnen hatte und drei Jahre andauern sollte. Ständig in Finanznöten kam ihm das Angebot deutscher Völkerkundemuseen gerade recht, Objekte für jene Häuser anzukaufen. So wurde er zum Ethnographikasammler, obwohl er ursprünglich ganz andere Ziele hatte.

Auf der Suche nach dem Ursprung der Menschheit

Motiviert zu der Australienreise hatte ihn sein Heidelberger Freund Otto Schoetensack (1850-1912), der 1908 den homo heidelbergensis in den Sanden bei Mauer als prähistorischen Menschenfund eingeordnet hatte. Gemeinsam philosophierten die beiden Freunde, entschiedene Anhänger von Darwins Evolutionstheorie, über den Ursprung der Menschheit. Schoetensack war überzeugt, dass diese unter den besonderen ökoklimatischen Bedingungen Australiens entstanden war. Wegen seiner angegriffenen Gesundheit konnte er selbst eine Reise nach Australien nicht antreten. Daher kam man überein, dass stattdessen Hermann Klaatsch nach Australien reisen und den Beweis erbringen sollte. Spontan schiffte er sich bei der nächstbietenden Gelegenheit im Februar 1904 ein.

Einmal in Australien angekommen kamen Klaatsch jedoch bald Zweifel, ob er auf dem fünften Kontinent Beweise für die Theorie seines Freundes finden könnte. Auch konnte er nirgendwo Ureinwohner antreffen – aus den fruchtbaren Siedlungsräumen waren sie schon zu Klaatschs Zeiten größtenteils vertrieben worden.

Daher nutzte er gerne die sich bietende Gelegenheit, auf Erkundungstour rund um die Cape York Halbinsel zu gehen. Eigentlich nutzte Walter E. Roth, von Amts wegen „Protektor“ der Aborigines, dafür regelmäßig ein Regierungsboot, die Melbidir. Da aber Roth verhindert war, nahm Klaatsch die Gelegenheit wahr, statt Roth die Erkundungstour zu unternehmen. So gelangte Klaatsch schließlich an die abgelegene Cape York Halbinsel.

Objekte für deutsche Museen

Kurz zuvor hatte ihn der Brief eines deutschen Völkerkundemuseums erreicht mit der Anfrage, ob er  Objekte erwerben könne. Stets in Geldnöten, ergriff Klaatsch die Gelegenheit, dadurch womöglich seine Reise zu finanzieren. In Aurukun am Archer River begann er damit, tatsächlich Objekte zu sammeln: Steinbeile, Nasenschmuck aus einer Muschel geschnitten und Fischspeere. Auf seiner allerersten Objektliste sind die Nummern 21-29 Fischspeere. Davon befindet sich die Nr. 26 in Mannheim.

Als Klaatsch 1907 aus Australien zurückkam, übernahm er die Professur für Anthropologie an der Universität Breslau. Seine über 2000 australischen Ethnographika wurden unter deutschen Völkerkundemuseen aufgeteilt, zusätzlich gab es eine Gesamtschau am Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln. Klaatsch war aber auch mit dem Münchner Künstler, Darwinisten und Sammler Gabriel von Max (1840-1915) in Kontakt, der offenbar einen Fischspeer von Klaatsch bekam. Mit dem Mannheimer Ankauf der Sammlung von Max 1917 gelangte dieser australische Fischspeer schließlich nach Mannheim.

Den Ursprung der Menschheit klären konnte er natürlich nicht. Erst Jahrzehnte später kam man auf die Idee, diesen Ursprung in Afrika zu suchen. Die wirkmächtige Idee von der Suche nach den Ursprüngen verbindet sich jedoch auch mit diesem Fischspeer aus Australien.

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